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Isolierwerkstoffe unter 800 V Belastung

Die Einführung der 800V-Technologie in Elektrofahrzeugen markierte einen bedeutenden Fortschritt in der Elektromobilität. Denn diese Technologie bietet eine Reihe von Vorteilen gegenüber den traditionellen 400V-Systemen, bringt aber auch neue technische Herausforderungen mit sich.

Einer der Hauptvorteile der höheren Spannung ist die Reduzierung der Stromstärke bei gleicher Leistungsübertragung. Die Gleichung P = U x I zeigt, dass bei einer Verdopplung der Spannung bei gleichbleibender interner Infrastruktur rechnerisch der Ladestrom auf die Hälfte sinkt. Dies führt zu geringeren Widerstandsverlusten in den Kabeln und Komponenten, was wiederum die Effizienz des Systems erhöht.

Die doppelt so hohe Spannung ermöglicht auch schnellere Ladezeiten, da höhere Ladeleistungen realisiert werden können, ohne die Stromstärke in unpraktikable Bereiche zu treiben. Darüber hinaus ermöglicht die höhere Spannung eine leichtere und kompaktere Bauweise des Antriebssystems, da der Leiterquerschnitt der Kabel nur durch die Stromstärke definiert wird.

Das Wärmemanagement spielt bei 800V-Systemen eine entscheidende Rolle. Die geringeren Stromstärken reduzieren zwar die Wärmeverluste, aber die höheren Spannungen erfordern dennoch eine effiziente Kühlung der Komponenten, um eine Überhitzung zu vermeiden. Dies gilt insbesondere für die Batterie, den Wechselrichter und den Elektromotor. Moderne Kühlsysteme (z.B. auch Flüssigkeitskühlung in den Antriebsmotoren) sind daher unerlässlich, um die optimale Betriebstemperatur der Komponenten zu gewährleisten. Die in der Automobilindustrie übliche Spanne liegt dabei zwischen -40°C und +140°C.

Zwar werden im Fahrzyklus auch Spitzenströme bis zu 750 A erreicht, die thermische Hautbelastung der Komponenten findet jedoch beim kontinuierlichen (Schnell)Laden statt. Um eine Überhitzung zu vermeiden, kann es insbesondere an warmen Tagen unmittelbar nach einer längeren Fahrt dazu kommen, dass der maximale Ladestrom recht bald abgeregelt wird. Komponenten wie z.B. Isolationswerkstoffe müssen für diese extreme Temperaturspanne über die Lebenszeit eines Fahrzeuges ausgelegt sein. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass manche Bauteile und Baugruppen nicht nur beim Betrieb oder beim Laden unter Spannung stehen, sondern im Bereich der Hochvoltbatterie die komplette Lebenszeit des Fahrzeugs.

Die Automobilindustrie unterliegt strengen eigenen Normen, insbesondere im Bereich der Hochvolttechnik. Die LV 123 ist eine der wichtigsten Normen, die Anforderungen an elektrische Komponenten in Kraftfahrzeugen definiert.

Die LV 123 gilt für Hochvolt-Komponenten im Fahrzeug, wie beispielsweise Wechselrichter, Elektromotoren und Batterien und deckt ein breites Spektrum an elektrischen Prüfungen ab, um die Widerstandsfähigkeit der Komponenten unter verschiedenen Betriebsbedingungen zu bewerten. Sie legt unter anderem auch Anforderungen an Kriech- und Luftstrecken, Isolationswiderstand und die Eigenschaften der verwendeten Werkstoffe fest. Bei 800V-Systemen müssen diese Anforderungen besonders sorgfältig berücksichtigt werden, um die Sicherheit der Insassen und des Fahrzeugs zu gewährleisten. Von besonderer Bedeutung sind die Kriechstrecken, die üblicherweise doppelt so hoch sind wie bei 400 V. Berücksichtigt man die Verschmutzungsklasse und die Isolierstoffgruppe, gibt es jedoch Einflußmöglichkeiten auf die vorgeschriebene Kriechstrecke (IEC 60664). Auch der Isolationswiderstand muß doppelt so hoch sein (25 MOhm auf 50 MOhm), was insbesondere im gealterten Isoliersystem eines Fahrzeugs herausfordernd sein kann.

Die erhöhte Spannung führt bei gleicher Schaltfrequenz im Umrichter auch zu einer gesteigerten EMV-Abstrahlung, denn in der gleichen Zeitspanne muss eine doppelt so hohe Spannung geschaltet werden. Dies erfordert den Einsatz von effektiven EMV-Maßnahmen, wie z.B. Schirmung und Filterung, um die elektromagnetische Verträglichkeit des Fahrzeugs sicherzustellen. Die Einhaltung der EMV-Normen ist entscheidend, um Störungen anderer elektronischer Systeme im Fahrzeug oder in der Umgebung zu vermeiden. Die DIN EN 55025 gilt für elektronische/elektrische Komponenten in Fahrzeugen und deckt den Frequenzbereich von 150 kHz bis 5 925 MHz ab. Sie definiert Grenzwerte und Messverfahren für den Schutz vor EMV-Störungen.

Eine weitere Herausforderung bei 800V-Systemen ist die sichere Trennung der Hochvoltbatterie vom Fahrzeug im Falle einer Störung. Hierbei spielt die Lichtbogenlöschung eine entscheidende Rolle. Beim Trennen von Hochvoltkomponenten können gefährliche Lichtbögen entstehen, die zu Schäden oder Bränden führen können. Daher sind spezielle Schalter und Sicherungen (Pyro, Sand- oder Gelfüllung) erforderlich, die in der Lage sind, diese Lichtbögen schnell und sicher zu löschen.

Die 800V (1000V) -Technologie bietet erhebliche Vorteile für die Elektromobilität, bringt im Detail aber auch neue (elektro)technische Herausforderungen mit sich.