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Megatrends und Elektrotechnik

Das zweite Jahrzehnt im 21igsten Jahrhundert wird mehr als die Jahrzehnte zuvor tiefgreifende und einschneidende Veränderungen in vielen Lebensbereichen mit sich bringen. Urbanisierung, Sozialisierung, digitalisierte Fertigung, grenzenlose Kommunikation und Gesundheit werden in den Vordergrund rücken. Gleichzeitig werden der Klimawandel und die Diskussion um die Nachhaltigkeit unseres Handelns massiv Entscheidungen und Entwicklungen beeinflussen. 

Das führt zu Änderungsprozessen, die in manchen Bereichen ausreichend langsam erfolgen werden, um sie mit herkömmlichen Mitteln zu begleiten. In anderen Bereichen werden sie disruptiv sein und ganz neue Wege der Bewältigung erfordern. Das Beispiel der Elektromobilität verdeutlicht diese Aussage, denn schneller als jemals zuvor löst ein gänzlich neues Antriebskonzept gut funktionierende und eingefahrene Fertigungs- und Lieferketten ab. In vielen Bereichen der Zulieferindustrie gilt: wer nicht binnen weniger Jahre seine Produktion umstellt, wird am Ende das Nachsehen haben. Es ist keine Evolution, sondern eine Revolution, die sich jetzt in den Zwanziger Jahren andeutet. Es wird dabei auch Sackgassen geben und Veränderungen, die heute noch nicht abschätzbar sind. Der Druck zum Handeln ist jedoch stärker denn je und wird Entwicklungen vorantreiben, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren.  

Heruntergebrochen auf die elektrotechnische Branche bedeutet das eine gewaltige Aufgabe. Denn elektrische Energie ist eine an sich sehr saubere Energieform – wenn sie nicht, wie derzeit noch überwiegend der Fall, aus fossilen Brennstoffen erzeugt wird. Insofern liegt es im Interesse der Elektrobranche, dass Herstellung, aber besonders auch Verbrauch elektrischen Stroms energieeffizient und ressourcenschonend erfolgt.

Fünf Megatrends sollen verdeutlichen, welche Aufgaben sich auch für die Elektrotechnik aus diesem Wandel bei der Ressourcenbetrachtung ergeben:

Umwelt, Nachhaltigkeit ohne Verzicht

Die CO2 Diskussion steht stellvertretend für das wachsende Umweltbewusstsein der Bevölkerung. Neben der Erzeugung von Prozesswärme in der Industrie (z.B. Stahl- und Aluminiumherstellung, Heißdampf) entsteht CO2 in großen Mengen bei der Herstellung elektrischer Energie. Wenn abends in den Industrieländern die Lichter eingeschaltet werden, wir auch dem Betrachter aus dem Weltall klar, welche Mengen an elektrischer Energie tagtäglich benötigt werden. Ziel einer nachhaltigen Energienutzung kann nur darin bestehen, elektrischen Strom soweit irgend möglich aus sich erneuernden Quellen zu gewinnen. Nicht grundlastfähige Energiequellen (z.B. Solar, Wind) und grundlastfähige Energiequellen (z.B. Wasser, Biogas, Erdwärme) werden also in Zukunft intelligent kombiniert werden müssen. Das sich daraus ergebende „Smart Grid“ wird Stromquellen, Energiespeicher und Verbraucher flexibel miteinander verbinden.

Schlüsseltechnologien dafür sind u.a. die Batterietechnologie (als schnell zuschaltbares Speichermedium), Elektrolyseure und Brennstoffzellen , um den Wasserstoff als Energiespeicher nutzen zu können, Smart Meter (als intelligente Schnittstelle zwischen Verbrauchern und Erzeugern) und Smart Transformatoren (regelbare Verteiltransformatoren), die die Netzbelastung flexibilisieren. Über allem wird Energieeffizienz und nachhaltige Energiegewinnung und -speicherung stehen. Denn die Elektrotechnik verfügt in besonderem Maße über die Möglichkeiten, Einsparungs- und Vermeidungspotential für die Energiebilanz zukünftiger Generationen zu leisten.

Verkehr

„Die Lösungen liegen in den Schubladen“ – der immer wieder mal geäußerte Verdacht, dass bestimmte Technologien bewusst zurückgehalten werden, er scheint sich zu bewahrheiten. Denn Elektroantrieb wie Brennstoffzelle sind sehr alte Technologien, die in der Vergangenheit immer wieder mal als ‚Antrieb der Zukunft‘ vorgestellt wurden. Erst der Dieselskandal aber verhalf den „alternativen Antrieben“ zu dem nötigen Aufwind. Denn von der Idee über den Prototypen bis zu einer serientauglichen Produktion ist ein sehr langer Weg. Die Aufgabe etablierter Techniken und Produktionsverfahren erfordert häufig einen äußeren Anlass. Doch nun ist der Elektroantrieb in allen Verkehrsbereichen angekommen.

Bereits in großen Stückzahlen werden elektrische Flurförderfahrzeugen hergestellt. Neben dem PKW wird auch der Lastenverkehr elektrifiziert werden. Besonders die großen Schiffsdiesel und energiefressende Kreuzfahrtschiffe werden bei Umstellung auf alternativ gewonnene Energie und Elektroantrieb einen wesentlichen Beitrag zur CO2 Reduktion leisten können. Doch auch Flugzeuge können „elektrisch“ fliegen.

Schlüsseltechnologien aus der Elektrotechnik sind u.a. günstige, sparsame Elektromotoren, hocheffiziente Motorsteuerelektroniken, leistungsfähige Ladetechnologien und umweltfreundlich gestaltete Energiespeicher (LION, BZ) eines regenerativ gewonnenen elektrischen Stroms.

Industrielle Fertigung

Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ wird die zunehmende Vernetzung innerhalb der Produktion und zwischen verschiedenen Fertigungspartnern zusammengefasst. Im Grunde genommen geht es um die Erfassung von Daten. Mit ihrer Hilfe soll die industrielle Fertigung in allen Bereichen besser und effizienter gesteuert werden. Dafür wird das IoT (Internet of Things) benötigt sowie eine KI (Künstliche Intelligenz), die in der Lage ist, aus den Datenmengen automatisiert Schlüsse zu ziehen.  Neben der umfassenden Aufgabe, eine datensichere Softwareumgebung zu schaffen, gibt es zahllose Hardware-Komponenten, die in der Industrie 4.0 für Erfassung und Reaktion benötigt werden.

Schlüsseltechnologien dafür sind u.a. die Halbleitertechnologie, Nachrichtenübertragung, Sensoren und Energy-Harvesting beziehungsweise grundsätzlich eine Effizienzsteigerung.

Medizintechnik und Gesundheit

Insbesondere in den Industrieländern steigt die Lebenserwartung stetig. Das führt zu einem zunehmenden Alter der Silver Society. Gesundheit und deren Erhaltung rücken in die Mitte der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit. Das führt zu gestiegenen Anforderungen an die Medizintechnik. Neben der Apparatemedizin werden Technologien wie die Augmented Reality in Zukunft helfen, behinderten und vor allem älteren Menschen ein lebenswertes Leben zu führen.

Schlüsseltechnologien dafür sind gewiss eine weitere Miniaturisierung der Elektronik, jedoch auch Hilfsmittel wie elektronische Markierungen (z.B. RFID) zur räumlichen Orientierung oder elektronische Sehhilfen. Tragbare Geräte wie Blutzuckercomputer oder intelligente Herzschrittmacher  werden weiterentwickelt und zum Beispiel schwere Hebearbeiten mittels Exoskelette erleichtert und ein eigenständiges Leben durch intelligente Wohnraumausstattungen ermöglicht.

Kommunikation

Das Recht auf Information ist kein verbrieftes Menschenrecht – und dennoch eine Grundlage des Zusammenlebens in dieser vernetzten Welt geworden. Die moderne Kommunikationstechnologien haben es ermöglicht, dass nahezu überall auf der Erde das Wissen der Menschheit in Form des Internets zur Verfügung steht. Dafür ist ein enormer technischer Aufwand notwendig. Insbesondere die weltweiten Serverfarmen haben einen sehr hohen Strombedarf. Cloud-Computing, Industrie 4.0 und autonomes Fahren werden in Zukunft noch erheblich mehr Rechnerleistung und drahtlosen Datenaustausch benötigen.

Schlüsseltechnologien sind u.a. energieeffiziente Serverlösungen, zahllose elektronische Komponenten im Kommunikationsnetzwerk, Endgeräte wie Tablets, Smartphones sowie Hardware für lokale Netzwerke.

Lebensmittelindustrie

Selbst in Bereichen, die scheinbar nichts mit Elektrizität zu tun haben, wird es massive Umbrüche geben. Immer mehr Menschen müssen ernährt werden. Immer mehr Menschen leben in riesigen Megacitys, die neue Wege zur Versorgung ihrer Bevölkerung gehen müssen.

Ein Thema dabei wird das Indoor-Farming sein. In kontrollierter Umgebung werden unter künstlicher LED-Beleuchtung hochwertige Lebensmittel hergestellt. GPS-gesteuerte autonome Erntemaschinen erfordern genauso wie hochautomatisierte Lebensmittelproduktion Lösungen aus Elektrotechnik und Elektronik. Selbst banal erscheinende Aufgaben wie das energieeffiziente Trocknen von Lebensmitteln, die tiefkalte Lagerung oder der Transport erfordern elektrotechnische Lösungen. Biogas-Anlagen, die kaum noch verwertbare Produktionsabfälle und Produktionsüberschüsse sowie z.B. Gülle aus der Viehhaltung in elektrische Energie wandeln, leisten bei intelligenter Einbindung ins Netz einen Beitrag zur grundlastfähigen Elektrizitätsversorgung.

Elektrotechnik ist ein so vielfältiges Themengebiet, dass jeder Versuch, alle Möglichkeiten eines Beitrags zum Klimaschutz zu beschreiben, unvollständig bleiben muß. Doch wegen der Universalität des elektrischen Stroms als Energiequelle trägt die Elektrobranche auch eine besondere Verantwortung, bei dem Wandel der Gesellschaft in Richtung CO2-Neutralität voran zu gehen.

(Januar 2020, © Gerald Friederici)