Blick über die Grenze: das österreichische Großprojekt HI2 Valley: Pilotmodell zur industriellen Dekarbonisierung

Die Errichtung des Hydrogen Industrial Inland Valley (HI2 Valley) in Österreich – unter der zentralen Beteiligung Kärntens sowie der Steiermark und Oberösterreich – markiert einen signifikanten Vorstoß in Richtung einer klimaneutralen Industriewirtschaft im Herzen Europas.

Das von der Europäischen Union (EU) unterstützte Vorhaben ist als sogenanntes Large-Scale-Valley konzipiert und fokussiert sich auf den Aufbau einer vollständigen, integrierten Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Das strategische Hauptziel ist die Dekarbonisierung der besonders energieintensiven Binnenlandindustrie, speziell der Sektoren Stahl, Zement und Chemie, für die grüner Wasserstoff oft die einzige praktikable Option zur Erreichung der CO₂-Neutralität darstellt.

Ambitionierte Produktionskapazitäten und innovative Kopplung 

Der konkrete Aufbau des HI2 Valley ist auf die massive Steigerung der Produktion von grünem Wasserstoff ausgelegt. Geplant sind Elektrolyseanlagen mit einer Gesamtleistung von über 100 Megawatt (MW). Diese Kapazität soll jährlich rund 10.000 Tonnen klimaneutralen Wasserstoff erzeugen, der ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen wie Wasserkraft, Wind und Sonne gewonnen wird.

Kärnten nutzt dabei seine Stärken in der stabilen Wasserkraft und geht über die reine Erzeugung hinaus: Es werden innovative Lösungen erprobt, wie die intelligente Kopplung der Wasserstoffproduktion mit Batteriespeichern. Diese Technologie dient der Optimierung der Netzauslastung und erhöht die Systemdienlichkeit des grünen Wasserstoffs. Die erzeugten 10.000 Tonnen H₂ pro Jahr ermöglichen es den industriellen Abnehmern, auf grüne Energieträger umzusteigen und somit einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion fossiler Emissionen zu leisten.

Strategische Infrastruktur und europäische Anbindung 

Über die lokale Produktion hinaus spielt Kärnten eine strategisch bedeutsame Rolle im künftigen europäischen Wasserstoff-Netzwerk. Das HI2 Valley schafft eine robuste Infrastruktur für den Transport und die Speicherung des Gases.

Von entscheidender Bedeutung ist die Position Kärntens als Schnittstelle zum geplanten SouthH2Corridor. Diese zukünftige Fernleitung soll Wasserstoff aus Erzeugungszentren in Südeuropa und Nordafrika über Österreich bis nach Süddeutschland transportieren. Kärnten wird dadurch zu einem unverzichtbaren Logistikknotenpunkt innerhalb der sogenannten European Hydrogen Backbone (EHB) – einem wachsenden kontinentalen Pipelinenetz, das Import- und Erzeugungsregionen mit den großen industriellen Verbrauchszentren verbindet.

Das HI2 Valley im Vergleich zu deutschen Großprojekten 

Das österreichische Vorhaben reiht sich ein in die europaweiten Bemühungen, großindustrielle Wasserstoff-Ökosysteme aufzubauen. Im direkten Vergleich mit Deutschland, das ebenfalls stark auf die Dekarbonisierung seiner Stahl- und Chemieindustrie setzt und bis 2030 eine Elektrolyseleistung von mindestens 10 Gigawatt (GW) anstrebt, ist das HI2 Valley mit seiner initialen >100 MW-Kapazität ein gewichtiges nationales Projekt mit internationaler Ausstrahlung.

  • Vergleichbare Skalierung: In Deutschland entstehen ebenfalls „Hydrogen Valleys“ und große Erzeugungsanlagen. Ein prominentes Beispiel ist das Salzgitter-Transformationsprogramm, welches in der ersten Stufe eine 100-MW-Elektrolyseanlage (Salcos®; Inbetriebnahme 2026 geplant) zur CO₂-armen Stahlproduktion vorsieht – eine Kapazität, die direkt mit dem Gesamtumfang des HI2 Valley vergleichbar ist. Auch am BASF-Standort Ludwigshafen wurde mit 54 MW einer der größten PEM-Elektrolyseure Deutschlands in Betrieb genommen, um die Chemieproduktion zu dekarbonisieren.
  • Fokus auf Import und Inlandsproduktion: Während Deutschland aufgrund seines enormen Industriebedarfs (allein die Stahlindustrie benötigt perspektivisch Millionen Tonnen Wasserstoff jährlich) stark auf den Import über das EHB-Kernnetz setzt (geplante Länge von über 9.000 km bis 2032), betont Österreich beim HI2 Valley die heimische Produktion zur Stärkung der Energiesicherheit und Unabhängigkeit von fossilen Importen. Österreichs Rolle als Transitland für Importkorridore wie den SouthH2Corridor ist jedoch ähnlich zentral wie die Deutschlands, das sich als Drehkreuz für Wasserstoffimporte aus dem Norden (Nordsee) und Süden (Mittelmeer-Korridore) positioniert.
  • Regulatorische und Genehmigungshürden: Die Komplexität der Genehmigungsverfahren stellte und stellt eine der größten Hürden dar, was typisch für große Energieinfrastrukturprojekte ist. Ähnlich wie in Deutschland existiert in Österreich derzeit kein einheitliches Rechtsregime für erneuerbaren Wasserstoff. Die Projektpartner müssen Genehmigungen nach dem Kumulierungsprinzip bei verschiedenen Behörden und nach verschiedenen Materiengesetzen (z.B. Gewerbeordnung, Bauordnung) einzeln einholen. Dies ist zeitaufwendig und birgt Risiken.
  • Realisierung mit Hürden: Trotz des nationalen Wasserstoff-Förderungsgesetzes - auch hier existieren Analogien in Deutschland - ist die tatsächliche Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für das HI2-Projekt und dessen Elektrolyseanlagen, Speicher und Pipelines entscheidend. Verzögerungen in der Planungsphase (2025–2027) könnten den Hochlauf bis 2030 gefährden. Fachkräftemangel, eine zuverlässige Netzanbindung, Fragen der Wirtschaftlichkeit, die zuverlässige Finanzierung der Infrastruktur (u.a. Pipelines) und politische Unwägbarkeiten zählen zu den weiteren Stolpersteinen, die der finalen Inbetriebnahme dieses Vorzegeprojektes im Weg stehen können.
  • Kritik: Ein wichtiger Kritikpunkt ist, dass die Umwandlung von Grünstrom in Wasserstoff unweigerlich zu erheblichen Energieverlusten führt. Kritiker des Projektes heben hervor, dass die direkte Verwendung von regenerativ hergestelltem Strom in anderen Bereichen über einen erheblich größeren Hebel für die Dekarbonisierung Österreichs verfügt.

Die Vertreter der Projektpartner betonen, das das HI2 Valley nicht nur als essentieller Pfeiler zur Erreichung der nationalen und europäischen Klimaziele (Fit for 55) fungiert, sondern auch als europäisches Pilotmodell, das beweisen soll, wie eine integrierte Wasserstoffwirtschaft auch in einer stark industrialisierten Binnenlandregion wettbewerbsfähig aufgebaut und betrieben werden kann.