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Der große Blick

Bei vielen der bisweilen hitzig geführten Diskussionen über den Klimawandel und die daraus folgenden Maßnahmen, fällt eines auf: Die Diskussionen drehen sich überwiegend um Probleme, die nur in einem dicht besiedelten, hochindustrialisierten Land auftauchen.

Beispielsweise wird häufig das Argument angeführt, dass eine komplette Umstellung des Verkehrs auf Elektromobilität schon daran scheitern würde, dass es nicht ausreichend Ladepunkte für alle geben kann. Oder dass die Umweltbelastung bei der Gewinnung und Herstellung der Batterien so erheblich ist, dass ein Verbrennermotor doch eigentlich umweltfreundlicher ist. Und vor allem, dass eine Substitution der bislang eingesetzten Gesamtenergiemenge (Wärme, Transport, Elektrizität) nur dann gelingen könnte, wenn Solar- und Windstrom um das 14-15 fache ausgebaut würde.

Diese Diskussionen enthalten zugleich mehrere unberücksichtigte Aspekte, die sich jedoch je nach Intention wunderbar in die eine oder andere Richtung verwenden lassen. Dabei oft unberücksichtigt bleibt, dass unsere „deutschen Probleme“ bei dem Energiewandel sehr spezifisch sind und in ihrer Relevanz bei weitem nicht auf alle Länder der Welt zutreffen. Denn ausser den zentralen Staaten Europas und den USA gibt es wenige andere hochentwickelte Länder, in denen die Frage nach einer ausreichenden Anzahl Ladepunkte überhaut gestellt wird.

Während hierzulande die berechtigte Frage auftaucht, wo denn all die Bewohner eines größeren, innerstädtischen Hochhauses ihre Elektrowagen laden könnten, wäre so mancher Bewohner eines Schwellenlandes froh, wenn es wenigstens eine verlässliche Haustromversorgung gäbe. Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass der Preis eines Elektrofahrzeugs für ihn noch auf Jahrzehnte unbezahlbar erscheinen muß.

Ein anderer Umstand wird auch gerne unerwähnt gelassen: Die Umweltauswirkungen bei der Gewinnung von Öl und Gas. Sie werden heute gesamtgesellschaftlich als notwendig und unabwendbar hingenommen. Die Umweltbelastungen, die Folgen des Abbaus der für Lithium-Batterien notwendigen Rohstoffe sind, erhalten dagegen eine konzentrierte mediale Beachtung. Immerhin haben wir auch im eigenen Land ein Beispiel für die Belastung von Umwelt und Menschen, die sich aus dem Abbau fossiler Energieträger ergeben: Die riesigen Tagebauten wie Garzweiler II.

Über die Gewinnung von Erdöl aus Ölsänden in Amerika und Kanada wurde in der Vergangenheit zwar berichtet, die damit verbundenen Probleme tauchen in den aktuellen Umweltdiskussionen bezüglich Energiewandel jedoch nur selten auf. Auch das Abfackeln riesiger Mengen Erdgas bei der Erdölgewinnung und den enormen Energieaufwand bei der Veredelung von Rohöl zu Benzin und Diesel wird man häufig in solchen Diskussionen vermissen. Schließlich wird auch häufig der „Blackout“, der Zusammenbruch des elektrischen Netzes im Rahmen der Energiewende-Diskussion heraufbeschworen. Dabei verfügt Deutschland weltweit über eines der besten Stromnetze und ist mit seinen Nachbarn eingebunden in ein unvergleichlich gutes Leitungsnetz. In vielen anderen Staaten der Welt ist die Implementierung der regenerativen Energieerzeugung bedeutend schwerer und vor allem für den Staat und die Bewohner teurer.

Das eine extreme Vervielfachung der Windkraftanlagen und Solarflächen in einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland nicht möglich ist, dürfte eigentlich allen Menschen klar sein. Was bei Zahlen wie der eingangs erwähnten Vervierzehnfachung unterschlagen wird ist der Umstand, dass wir schon immer ein Importland für Energie waren. Über 70% des Primärenergiebedarfs wird importiert.

Was also spricht dagegen, auch weiterhin Energie zu importieren anstatt die Angst zu schüren, dass demnächst flächendeckend Windkraftanlagen gebaut werden? Ist dieses Argument gegen die Energiewende also nicht nur eine bewusste Irreführung durch Übertreibung?

Lohnt es nicht vielmehr darüber nachdenken, welchen Beitrag Deutschland leisten kann, die importierte Energie möglichst umweltschonend und gleichzeitig günstig produziert zu können? Also durch die Entwicklung und Erprobung von Anlagentechnik und Energienutzungsstrategien in Deutschland eine technologische Grundlage zu schaffen, damit Schwellenländer gar nicht erst versuchen, ihren wachsenden Energiehunger mit veralteten Kohlekraftwerken zu decken.

Doch ganz am Anfang all dieser Argumente und Gegenargumente steht eine elementare Frage:

Akzeptiert man in der Diskussion den Umstand, dass die Klimaerwärmung überhaupt existiert und dass sie menschengemacht ist? Denn wer nicht an den Klimawandel glaubt oder natürliche Phänomene wie Sonnenabstand, Vulkanausbrüche und andere Beweise für einen natürlichen Zyklus heranzieht, der braucht sich dieser Frage nicht zu stellen: Welche Alternative zum Verbrennen von fossilen Rohstoffen gibt es überhaupt?

Weder extreme Untergangsszenarien und uneinhaltbare Forderungen nach sofortigem Stopp der Braunkohleverstromung noch die einfachen Lösungen wie Atomstrom oder gar ein „Weiter so“ sind hilfreich. Denn Schwarz-Weiß-Malerei vertieft die Gräben zwischen den unterschiedlichen Lägern und würgt konstruktive Gespräche ab. Vor allem sollten solche Diskussionen immer berücksichtigen, dass es kein „typisch deutsches“ Problem ist, sondern alle Menschen (und die Umwelt) weltweit betrifft.

Häufig fällt unter den Tisch, dass die 2% CO2 Emission von Deutschland nur die halbe Wahrheit ist. Bis ein Import-Gut bei uns ankommt, sind etliche Produktionsschritte im Ausland erbracht worden - mit all den Umweltbelastungen, die damit verbunden sind. Als Beispiel sei der immense Flächenverbrauch für Futtermittel genannt, damit die hiesige Fleischindustrie, am Weltmarktpreis gemessen, günstige Preise anbieten kann. Oder die stark CO2-lastige Herstellung von Stahl für die hiesige Bau-, Automobil- oder Anlagenindustrie sowie die Produktion von Aluminium. Wie Deutschland lagern alle Industrieländer einen guten Teil ihrer CO2-Belastung aus und verursachen somit an anderen Orten der Welt Klimagas-Emissionen.

Doch selbst wenn der Klimawandel nicht menschengemacht ist, stellt sich mittelfristig dennoch die Frage, was an die Stelle der schwindenden Reserven fossiler Energie treten kann und wie diese sichere, nachhaltige Energie dann weltweit verteilt wird. Warum nicht jetzt anfangen, darüber nachzudenken? Ohne Panik, aber mit Nachdruck! Denn eines ist klar: Jede Minute, die gewartet wird, kommen zu der 7,8 Milliarden zählenden Weltbevölkerung weitere 160 Menschen dazu. Sie werden alle für ein lebenswertes Leben Energie, Lebensmittel und Wohnraum beanspruchen.

Klimawandel und Energiewende und deren Auswirkungen auf unser tägliches Leben sind kein rein deutsches Problem. Wer das als Tatsache erkennt, wird sich nicht in sinnlosen Diskussionen über Details ergehen, die nur 85 Millionen Menschen betreffen. Diese Details müssen auch gelöst werden – aber das ist nicht die eigentliche Aufgabe! Und wenn man es positiv betrachten möchte, ist der Wandel zu einer kohlenstoff-freien Gesellschaft sogar eine Chance für Deutschland!

Gerald Friederici 01.2021