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Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) – unterschätzter Sicherheitsmechanismus in der Elektrotechnik

Die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) beschreibt  das Prinzip, dass elektrische und elektronische Systeme in einer  gemeinsamen Umgebung existieren können, ohne sich gegenseitig zu stören. Die Einhaltung der Elektromagnetischen Verträglichkeit stellt sicher,  dass ein Gerät nicht nur selbst reibungslos funktioniert (Immunität),  sondern auch keine unzulässigen Störungen (Emission) aussendet, die die  Leistung oder Sicherheit anderer Geräte beeinträchtigen könnten. Dieses  komplexe Zusammenspiel von Störquellen, Übertragungswegen und  empfindlichen Geräten erfordert ein tiefes Verständnis von  Signalverhalten, Abschirmung und Filtertechniken, um die  Verlässlichkeit, Sicherheit und Effizienz moderner Elektronik zu  gewährleisten.                                        

In unserer zunehmend elektrifizierten und vernetzten Welt, in der  sich elektronische Geräte wie Handys, Laptops, medizinische Geräte und  Industriemaschinen auf engstem Raum befinden, ist die EMV von entscheidender Bedeutung. Ihre Aufgabe ist, dass die  Funktionstüchtigkeit und Sicherheit von Geräten nicht durch  elektromagnetische Interferenzen beeinträchtigt wird. Ohne angemessene  EMV-Maßnahmen könnten kritische Systeme ausfallen, Datenverbindungen  unterbrochen werden oder sogar Gefahren für Menschen entstehen. Die  Begrenzung der abgestrahlten oder eingestrahlten Energiemenge ist also unerlässlich, um die Koexistenz verschiedener elektronischer Systeme zu  gewährleisten und deren einwandfreie Funktion zu sichern.                                        

Ein Beispiel für eine elektromagnetische Nichtverträglichkeit  entsteht bei Frequenzumrichtern durch das Einkoppeln von Störungen in  benachbarte Sensorleitungen. Frequenzumrichter wandeln die Netzfrequenz  in eine variable Frequenz um, um die Drehzahl von Elektromotoren zu  steuern. Dabei entstehen hochfrequente Störsignale, die über die  Motorleitungen abgestrahlt werden. Wenn diese Leitungen parallel zu den  Kabeln von empfindlichen Sensoren, wie beispielsweise Temperatursensoren oder Wegmesssystemen, verlaufen, können die Störungen in die  Sensorleitungen einkoppeln. Das kann zu fehlerhaften Messwerten führen  und die gesamte Anlage oder Maschine unzuverlässig machen.                                        

Kopplungspfade bei der EMV                                        

Kopplungspfade beschreiben die Wege, über die sich  elektromagnetische Störungen von einer Quelle zu einem empfindlichen  Gerät ausbreiten. Es gibt im Wesentlichen vier Mechanismen, über die  diese Übertragung stattfindet:                                              

Strahlungskopplung: Hierbei werden Störungen als elektromagnetische Wellen über den Raum  abgestrahlt. Ein Beispiel ist die Störung, die ein schlecht  abgeschirmter Schaltkreis auf einer Leiterplatte über die Luft zu einem  benachbarten Kabel oder einer anderen Leiterplatte überträgt.

Galvanische Kopplung: Bei dieser Kopplungsart teilen sich zwei oder mehr Stromkreise einen  gemeinsamen elektrischen Pfad, meistens eine Masseleitung. Der Störstrom des einen Kreises erzeugt auf diesem gemeinsamen Pfad einen  Spannungsabfall, der wiederum den anderen Kreis stört.

Kapazitive Kopplung: Sie entsteht durch elektrische Felder zwischen zwei benachbarten Leitern.  Wenn ein Leiter ein schnell veränderliches Spannungssignal führt, kann  dieses Feld Ladungen auf dem anderen Leiter verschieben und so eine  Störspannung induzieren.

Induktive Kopplung: Diese Art der Kopplung wird durch magnetische Felder verursacht, die von  einem Strom in einem Leiter erzeugt werden. Parallel zueinander liegende Kabel können sich durch die induzierten Ströme im veränderlichen  Magnetfeld beeinflussen, beispielsweise Sensorleitungen und Powerkabel  von Frequenzumrichtern, die zu dicht beieinander liegen.                                          

Strategien zur Sicherstellung der EMV                                        

Die Gewährleistung der EMV basiert auf dem Prinzip, die drei Hauptkomponenten eines Störpfades zu unterbrechen: die Störquelle, den Kopplungspfad und das gestörte Gerät (Störsenke). Dies kann durch verschiedene Ansätze erreicht werden, die oft kombiniert werden. Ein grundlegendes Konzept ist die Abschirmung, die darauf abzielt, den Kopplungspfad zu blockieren. Dies geschieht,  indem man eine leitfähige Barriere zwischen Störquelle und Störsenke  errichtet. Ein geschirmtes Gehäuse beispielsweise, das aus Metall oder metallisierten Kunststoffen besteht, kann effektiv  verhindern, dass elektromagnetische Felder von der Elektronik im Inneren nach außen dringen (Abstrahlung) oder von außen in das Gehäuse  eindringen (Einstrahlung). Ein gutes Beispiel ist die Hülle eines  Smartphones. Durch eine partielle Metallisierung (oder direkt  Herstellung aus Metall) wird die dicht gepackte interne Elektronik z.B.  vor den Ausstrahlungen der CPU geschützt und es wird verhindert, dass  interne Komponenten von äußeren Störungen beeinflusst werden.                                        

Ein ähnliches Prinzip gilt für geschirmte Räume oder Faradaysche Käfige. Diese großflächigen Abschirmungen werden in Laboren oder medizinischen  Einrichtungen verwendet, um eine kontrollierte Umgebung frei von  externen Störungen zu schaffen (z.B. bei einem Elektrokardiogramm, EKG). Solche Räume sind oft mit speziellen Dichtungen und Filtern  ausgestattet, um die Abschirmwirkung auch an Türen und  Kabeldurchführungen aufrechtzuerhalten. Im Bereich der Medizintechnik  werden MRT-Räume (Magnetresonanztomographie) so konzipiert, dass sie  sowohl vor externen Störungen geschützt sind als auch die starken  Magnetfelder im Inneren auf den Untersuchungsraum selbst beschränken.                                        

Darüber hinaus spielen, beispielhaft genannte Komponenten eine Rolle zur Herstellung der Elektromagnetischen Verträglichkeit:                                              

Netzfilter werden an den Stromeingängen von Geräten eingesetzt, um leitungsgebundene  Störungen zu unterdrücken, die über das Stromnetz übertragen werden. Ein Beispiel hierfür ist die Entstörung von Computernetzteilen, die  andernfalls hochfrequente Störsignale in das Stromnetz zurückspeisen  könnten.

Kabelschirme, oft in Form von  Geflechten oder Folien aus leitfähigem Material, umhüllen Kabel, um die  Ausbreitung von Störungen entlang der Leitungen zu verhindern. In der  Audiotechnik sind geschirmte Kabel essentiell, um Brummschleifen und  Störgeräusche zu vermeiden, die durch äußere elektromagnetische Felder  verursacht werden.

Kupferlaminat auf Leiterplatten (feste und flexible Platinen[FPC]) dient als Massefläche, um hochfrequente Signale abzuleiten und die Interferenzen zwischen den  Bauteilen zu minimieren. Ein sorgfältig gestaltetes Leiterplattenlayout  mit einer durchgehenden Massefläche ist eine der grundlegendsten  EMV-Maßnahmen.                                          

Spezialisierte EMV-Produkte                                        

Für die Umsetzung dieser Strategien gibt es eine Vielzahl  spezialisierter Produkte, die von Unternehmen wie Laird, Chomerics,  Kitagawa und Elite Material Co. angeboten werden. Diese Firmen haben  sich auf die Entwicklung und Herstellung von EMV-Lösungen spezialisiert, die oft in Form von flexiblen, elektrisch leitfähigen Materialien wie  Geweben, Vliesen, Elastomeren (Dichtungen) und Folien vorliegen.

Leitfähige Gewebe und Vliese sind beispielsweise textile Materialien, die mit Metallfasern (z.B.  Nickel-Kupfer oder Silber) beschichtet oder durchwoben sind. Sie sind  besonders nützlich für Anwendungen, bei denen eine hohe Flexibilität  erforderlich ist, wie bei der Abschirmung von Kabeln, Dichtungen oder  textilen Gehäusen (z.B. militärisch genutzte Zelte). Unternehmen wie  Laird und Chomerics bieten eine breite Palette solcher Stoffe an, die  eine exzellente Abschirmwirkung bei geringem Gewicht und hoher  Biegsamkeit aufweisen. Ein praktisches Beispiel ist die Verwendung  dieser Stoffe zur Abschirmung von flexiblen Flachbandkabeln in Laptops  oder Tablets, wo Platz und Gewicht eine entscheidende Rolle spielen.                                        

EMV-Folien sind dünne, flexible KunststoffFolien, die mit Metallen (häufig Kupfer oder  Aluminium) beschichtet sind. Es können jedoch auch massive Al- oder Cu-Folien im Dickenbereich von einigen 10µm sein. Sie eignen sich hervorragend für  die Abschirmung von Gehäuseinnenseiten, empfindlichen Bauteilen auf  Leiterplatten oder zur Herstellung von Abschirmlaminaten. Kitagawa ist bekannt für seine leitfähigen Klebebänder und Folien, die eine einfache  und effektive Lösung für die Abschirmung bieten. Diese Bänder werden oft verwendet, um Lücken in Gehäusen zu schließen oder um einzelne ICs auf  einer Leiterplatte abzuschirmen, um Übersprechen zu verhindern.                                        

Ein weiteres Beispiel ist EMC Shielding Gasket, die oft aus leitfähigen Schaumstoffen, Elastomeren oder leitfähigen  Geweben bestehen. Sie werden verwendet, um die Abschirmung an  Gehäusetüren oder Abdeckungen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig eine  mechanische Dichtung zu gewährleisten. Elite Material Co., spezialisiert auf die Entwicklung und Fertigung von EMI-Abschirmmaterialien, bietet eine Vielzahl von Produkten für unterschiedliche Anwendungsbereiche an,  von Mobilgeräten bis zu industriellen Steuerungen. Solche Dichtungen  sind in der Telekommunikation unerlässlich, um die Gehäuse von  Mobilfunkstationen abzudichten und gleichzeitig die EMV-Integrität zu  wahren.                                         

Die wachsende Bedeutung der EMV                                        

Mit der fortschreitenden Digitalisierung und der Zunahme von  drahtlosen Technologien (5G, IoT, WLAN) steigt die Anzahl der  potenziellen Störquellen und die Komplexität der elektromagnetischen Umgebung. Geräte werden kleiner, dichter und energieeffizienter, was die Herausforderungen im Bereich der EMV zusätzlich verschärft. Die  zunehmende Elektrifizierung von Fahrzeugen (E-Autos), die Einführung von Smart Grids und die Vernetzung von Industrieanlagen (Industrie 4.0)  machen die EMV-Sicherheit zu einem kritischen Faktor für die  Zuverlässigkeit und den Erfolg dieser Technologien.                                        

In der Automobilindustrie beispielsweise sind die  EMV-Anforderungen für Elektrofahrzeuge deutlich höher als für  herkömmliche Verbrenner, da das Bordnetz eine viel höhere Dichte an  elektronischen Steuergeräten und leistungsstarken Komponenten wie  Wechselrichtern aufweist. In Zukunft wird die Bedeutung der EMV weiter  wachsen. Es werden nicht nur neue Materialien und Techniken zur Abschirmung entwickelt, sondern auch die Integration von  EMV-Designprinzipien in den frühen Phasen der Produktentwicklung wird  immer wichtiger. Die Zusammenarbeit von Ingenieuren, Entwicklern und  Materialwissenschaftlern ist entscheidend, um die elektromagnetische Verträglichkeit als integralen Bestandteil der Funktionssicherheit und Leistung von elektronischen Geräten zu gewährleisten.                                        

Die Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC) hat in der Normenreihe IEC 61000 die Grundlagen für Grenzwerte, Messung und Leitfäden zur Herstellung von  Elektromagnetischer Verträglichkeit niedergeschrieben. Auch u.a. CISPR 11 des Comité International Spécial des Perturbations Radioélectriques  beschäftigt sich mit Funkstöreigenschaften von industriellen, wissenschaftlichen und medizinischen Geräten.