Lösungsansatz für die Ernährung der Weltbevölkerung 2050: CEA
Die globale Ernährungssicherheit steht im 21. Jahrhundert vor einer Reihe von komplexen und miteinander verknüpften Herausforderungen, vorrangig dominiert durch das dynamischen Zusammenspiel demografischer und ökologischer Veränderungen. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung voraussichtlich auf rund 10 Milliarden Menschen anwachsen, wobei ein Großteil dieser Menschen in städtischen Gebieten leben wird (Megacities). Diese massive Urbanisierung erhöht nicht nur die Nachfrage nach Lebensmitteln in dicht besiedelten Zentren, sondern verdrängt auch wertvolle Agrarflächen. Die Ausbreitung von Städten auf landwirtschaftlich genutzten Böden führt zu Erntemengenverlusten und erhöht die räumliche Trennung von Lebensmittelproduktion und -konsum zusätzlich (Transportwege).
Gleichzeitig verschärft der Klimawandel die Belastungen der Landwirtschaft, die von extremen Wetterereignissen wie Dürren, Überschwemmungen und Stürmen zunehmend bedroht wird. Die landwirtschaftlichen Verfahren der vergangenen Jahrzehnte tragen maßgeblich zu den Umweltproblemen bei: sie sind für 80% der Entwaldung, 70% des Verlusts der Biodiversität und etwa 33% der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Darüber hinaus sind konventionelle landwirtschaftliche Methoden ressourcenintensiv. Allein die landwirtschaftliche Bewässerung macht zwei Drittel des weltweiten Süßwasserverbrauchs aus, was eine immense Belastung für diese ohnehin in vielen Gebieten knappe Ressource darstellt. Die Herausforderung besteht also darin, die globale Nahrungsmittelproduktion zu steigern, um die voraussichtlich um 50 bis 90% steigende Nachfrage bis 2050 zu decken (u.a. Anstieg Lebensstandard), während gleichzeitig die Belastung der Umwelt durch die derzeitigen Produktionssysteme dringend reduziert werden muß. Vor diesem Hintergrund erscheint die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse unter kontrollierten Umweltbedingungen als ein vielversprechender Lösungsansatz, um die Nahrungsmittelversorgung nachhaltig, widerstandsfähig und dezentral zu gestalten.
CEA heute: Eine Nische mit klarem Potenzial
Die Landwirtschaft unter kontrollierten Bedingungen (CEA, controlled enviroment agriculture) ist ein Überbegriff für Anbausysteme, die Pflanzen in Gewächshäusern oder anderen geschlossenen Strukturen produzieren, wobei spezielle Techniken der Gartenbauwissenschaft und Ingenieurwesen über die konventionelle bodenbasierte Freilandproduktion hinausgehen. CEA ermöglicht die vollständige oder teilweise Kontrolle der Wachstumsbedingungen. CEA-Systeme können von einfachen halbgeschützten Strukturen wie Folientunnel (Hochtunnel) bis hin zu vollautomatisierten Indoor-Farmen reichen. Die wichtigsten Formen der Kultivierung unter kontrollierten Umweltbedingungen sind:
- Vertical Farming: Bei dieser Methode werden Pflanzen in vertikal gestapelten Ebenen angebaut, um die Anbaufläche zu maximieren. Oftmals werden diese Anlagen in umgebauten Gebäuden, Lagerhallen oder Schiffscontainern untergebracht. Der Anbau erfolgt typischerweise ohne natürliches Sonnenlicht, wobei künstliche Beleuchtung, wie LEDs, zum Einsatz kommt. Vertical Farming ist eine spezielle Form des Indoor Farmings.
- Gewächshäuser: Gewächshäuser nutzen natürliches Sonnenlicht und können durch fortschrittliche Technologien Temperatur, Feuchtigkeit und Kohlendioxidgehalt steuern, um optimale Wachstumsbedingungen zu schaffen. Sie dominieren derzeit den CEA-Sektor, aber die vertikale Landwirtschaft gewinnt rasant an Attraktivität.
- Soilless Cultivation Systems: Diese CEA-Methoden, zu denen Hydroponik, Aeroponik und Aquaponik gehören, bauen Pflanzen ohne Erde an. Bei der Hydroponik werden die Pflanzenwurzeln in eine nährstoffreiche Wasserlösung getaucht. Aeroponik sprüht eine Nährstofflösung als feinen Nebel auf die freiliegenden Wurzeln, was zu einer erhöhten Nährstoffaufnahme führt.7 Aquaponik ist ein hybrides System, das Hydroponik mit der Fischzucht kombiniert, wobei der Fischabfall als Nährstoffquelle für die Pflanzen dient.
Vorteile und Grenzen heute
Die oben beschriebenen Methoden bieten eine Reihe von unbestreitbaren Vorteilen, die sie zu einer vielversprechenden Ergänzung der traditionellen Landwirtschaft machen. CEA ist in der Lage, die Ressourceneffizienz erheblich zu steigern. Im Vergleich zu konventionellen Methoden kann sie bis zu 95% des Wasserverbrauchs einsparen und sogar bis zu 98% in bestimmten vertikalen Farmen, wie die von Eden Green Technology. Darüber hinaus maximiert sie die Landnutzung in einem Ausmaß, das im Freiland nicht erreichbar ist, mit Erträgen, die 10- bis 20-mal oder in manchen Fällen sogar 240-mal höher sind als bei traditionellen Betrieben (möglich macht das der Umstand, in komplett von der Umwelt entkoppelten Systemen 24Std/365 Tage pro Jahr produzieren zu können). Insbesondere Vertical Farming-Anlagen können praktisch überall errichtet werden und sind weitgehend unabhängig von Klima, Wetter und Region, was eine zuverlässige, ganzjährige Produktion ermöglicht. Die geschlossenen Systeme eliminieren in vielen Fällen die Notwendigkeit für den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden, was die Lebensmittelsicherheit erhöht und das Risiko von Verunreinigungen reduziert.3
Trotz dieser beeindruckenden Vorteile kämpft die Nahrungsmittelproduktion in massiv von den Umweltbedingungen entkoppelten Anlagen (z.B. Vertical Farming) mit einer grundlegenden ökonomischen Herausforderung: der Rentabilität. Die Produktionskosten in vertikalen Farmen sind deutlich höher als in Gewächshäusern und erst recht im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft. Die primären Kostentreiber sind hohe Anfangsinvestitionen in Infrastruktur, Beleuchtung und Klimatechnik sowie erhebliche laufende Betriebskosten, wobei die Energiekosten 50-70% der Gesamtkosten ausmachen können. Insbesondere Unternehmen mit Anlagen für die „Vertikale Landwirtschaft“ sind daher gezwungen, sich auf hochpreisige, schnell wachsende Kulturen wie Blattgemüse, Kräuter und Microgreens zu beschränken, um wirtschaftlich überleben zu können. Dies hat zu finanziellen Schwierigkeiten und sogar Insolvenzen von Start-ups geführt. Derzeit müssen diese Betriebe ihre Produkte in der Regel direkt an Konsumenten oder an spezialisierte, hochpreisige Abnehmer wie Restaurants verkaufen, um rentabel zu sein, da sie auf dem Großhandelsmarkt nicht mit den Preisen von Gewächshaus- oder Freilandprodukten konkurrieren können.
Technologische Konvergenz: der nächste Schritt
Die Integration von Schlüsseltechnologien transformiert bereits die CEA-Branche und geht damit die derzeitigen Schwachstellen an. An der Spitze dieses Wandels steht die Künstliche Intelligenz (KI) und das Maschinelle Lernen. Diese Technologien gehen über einfache Automatisierung hinaus und ermöglichen datengesteuerte, prädiktive Entscheidungen. KI-Algorithmen können riesige Mengen an Echtzeitdaten von IoT-Sensoren analysieren, um maßgeschneiderte „Pflanzenrezepte“ zu entwickeln, die die Wachstumsbedingungen wie Lichtspektrum, Nährstoffgehalt und CO₂-Konzentration für jede Pflanzenart optimal anpassen. Dies führt zu einer Maximierung des Ertrags bei gleichzeitiger Minimierung des Ressourcenverbrauchs. Durch bildbasierte Analysen können KI-Systeme zudem Nährstoffmängel oder Krankheiten frühzeitig erkennen, bevor sie sich ausbreiten. Dieser präventive Ansatz macht den Einsatz von Pestiziden überflüssig und reduziert Ernteausfälle signifikant. Auch die Überwachung des Reifegrades und eine automatisierte Anpassung der Produktion an (vorbestellte) Abnahmemengen ist durch eine entsprechende Steuerung möglich.
Die Automatisierung und Robotik spielen eine entscheidende Rolle bei dem Kampf gegen die hohen Arbeitskosten der CEA-Systeme. Roboter können arbeitsintensive Aufgaben wie Aussaat, Ernte, Bewässerung und Verpackung übernehmen. Unternehmen wie Siemens entwickeln umfassende Digitalisierungslösungen, die den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb standardisieren und skalierbar machen. Die kontinuierliche, vernetzte Erfassung von Daten (Nährstoffkonzentration, Lufttemperatur, Lichtintensität,…), die Automatisierung der meisten Prozessschritte und der Einsatz kontinuierlich arbeitender Ernteroboter reduzieren nicht nur die Arbeitskosten, sondern ermöglicht auch einen sehr präzisen Produktionsprozess, was die Erträge und die Produktqualität weiter steigert und solche Anlagen damit rentabler macht. Was auf dem Feld mit seinen vielen unterschiedlichen Einflußfaktoren kaum zu machen ist, wir in modernen Gewächshäusern und Vertical-Farmen bereits erprobt: Bei einem minimalen Einsatz an Personal durch Automatisierung einen maximalen Ertrag zu erwirtschaften. Längst sind die Niederländer nicht mehr die Einzigen mit entsprechendem Know-How.
Bedarfsnahe und bedarfsorientierte Produktion
Ausgehend von der Erkenntnis, dass ein wesentlicher Teil der Weltbevölkerung nach 2050 in riesigen Ballungszentren leben wird, ist das Vertical Farmin (o.ä.) eine zentrale Möglichkeit, den Produktionsort nahe an den Verbraucher zu bringen und so enorme Transportkosten mit einhergehenden Belastungen für die Umwelt zu vermeiden.
CEA wird sich nach Vorhersagen aus der Branche in bestimmten Marktsegmenten von einer Nische zu einem dominanten Akteur entwickeln. Voraussichtlich wird der Vertical-Farming-Sektor in den USA bereits in den nächsten 10 Jahren etwa 50% des Marktes für Blattgemüse übernehmen. Bis 2055 wird die Produktion in solchen hochgradig von der Umwelt entkoppelten Anlagen einen wesentlichen Anteil am Markt für hochwertige, verderbliche Güter haben, einschließlich kleinfrüchtigen Obstsorten wie Erdbeeren und Fruchtgemüse wie Tomaten.
Ein entscheidender Schritt für die CEA-Branche wird die Erweiterung des Lebensmittelportfolios sein. Für die Produktion von Grundnahrungsmittel wie Weizen oder Reis sind solche Anlage nicht geeignet. Forschungsarbeiten zeigen zwar die technische Machbarkeit des hydroponischen Anbaus von Reis und Weizen, aber die wirtschaftliche Hürde bleibt der hohe Energiebedarf für die Biomasseproduktion. In 30 Jahren könnte allerdings eine Kombination aus deutlich gesenkten Energiekosten durch erneuerbare Energien und die Züchtung von für CEA besser geeigneten Pflanzen den strategischen Anbau von Grundnahrungsmitteln in wasserarmen Regionen oder in dicht besiedelten Städten wirtschaftlich machen.
Eine noch größere Rolle wird CEA bei der Produktion von alternativen Proteinquellen spielen, denn diese Systeme sind ideal für die Zucht von Insekten, Algen und die Herstellung von kultiviertem Fleisch (In-vitro-Fleisch, perspektivisch) geeignet. Insekten wandeln Futter wesentlich effizienter in Proteine um als Rinder und benötigen dabei deutlich weniger Wasser und Land. Die Europäische Union hat bereits mehrere Insekten für den menschlichen Verzehr zugelassen, was die Kommerzialisierung vorantreibt.
Die Zukunft beginnt heute schon
Das zukünftige Agrar- und Ernährungssystem wird ein Nebeneinander der konventionellen Landwirtschaft für die Herstellung hochvolumiger Grundnahrungsmittel sein, die auf großen Flächen am kostengünstigsten angebaut werden können, und hochentwickelten CEA-Produktionsstätten für wertvolle, empfindliche und schnell verderbliche Produkte, die am besten lokal und ganzjährig in Städten produziert werden.
Allerdings sind neben dem finanziellen Aspekt noch zahlreiche Hürden zu nehmen. Produkte aus CAE-Umgebung werden oft als „weniger natürlich“ empfunden. Zudem sind Insekten oder Algen in vielen Kulturen nicht als „Nahrungsmittel“ verankert und erzeugen ein entsprechendes Unbehagen. Auch die Standardisierung von Regeln und Zertifikaten muß sich so weit entwickeln, dass ein einmal aufgebautes Vertrauen der Verbraucher keinen Schaden nehmen kann (Schleuderei, Gammelfleisch, Tierwohl etc.).
In 30 Jahren wird die landwirtschaftliche Produktion unter kontrollierten Umweltbedingungen ihre Rolle als rein technologische Nische verlassen haben und ein entscheidendes Instrument zur Bewältigung der globalen Herausforderungen sein. CEA wird nicht die traditionelle Landwirtschaft ersetzen, sondern als strategische Ergänzung dienen. Die konventionelle Landwirtschaft wird weiterhin die Grundversorgung mit kalorienreichen Grundnahrungsmitteln sicherstellen, während CEA die lokale, zuverlässige und ressourceneffiziente Produktion von hochwertigen, verderblichen Gütern in den Städten und in klimatisch benachteiligten Gebieten übernimmt. Davon sind zumindest die Hersteller und Betreiber solcher Anlagen und Einrichtungen überzeugt. Die zahlreichen staatlichen und europaweiten Förderungen durch etliche Projekte und Forschungsprogramme zeigt aber, dass es sich längst nicht mehr um eine Nische für Liebhaber und Exzentriker handelt.
Anmerkung: Die größte deutsche Vertical-Farming-Anlage der Firma Hydrofarms in Wesseling produziert auf 200 Quadratmeter Fläche rund 7 Tonnen Gemüse pro Monat. Die größte europäische Anlage in Norfolk, England, mit 25.000 m² Fläche, produziert 6,5 Tonnen Gemüse: TÄGLICH! Die derzeit weltweit größte Anlage steht in Dubai: ECO 1 mit 330.000 m² Fläche.