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Rückkehr der Solarindustrie und Agri-Solar-Technologie

Es begann in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends mit Unternehmen wie Q-Cell oder Solarworld und Projekten wie dem „100.000-Dächerprogramm“: die Solarindustrie boomte und Tausende neuer Arbeitsplätze schossen wie Pilze aus dem Boden. Doch die Überführung der der hervorragenden Solartechnik in massenmarktfähige Produktionen gelang nicht. Die Fertigung wanderte ab, China produzierte schneller und kostengünstiger. Nun soll sich das grundlegend ändern.

Der Corona-Epidemie sagt man nach, dass sie wie ein Brennglas Defizite sichtbar macht. Eines dieser Defizite wurde der Automobil-, jedoch auch der Solarindustrie im Jahr 2020 deutlich: die ungewöhnlich hohe Abhängigkeit von Lieferungen aus dem Asiatischen Raum. 

Laut Aussagen der Internationalen Energieagentur IEA ist die Photovoltaik der günstigste Weg, den begehrten Rohstoff „elektrischen Strom“ zu produzieren. Keine rotierenden Bauteile, kein Verschleiß, kein so hoher „optische Impakt“ wie große Windparks und eine mittlerweile sehr hoher Lebensdauer der Solarmodule. Zwar ist Deutschland für Solaranlagen nicht gerade der ideale Standort, doch Anlagen- und Maschinenbau sowie hervorragendes Forschungs- und Ingenieurswissen prädestinieren das Land für eine Rückkehr der Solarindustrie.
Doch Deutschland ist nicht alleine mit dieser Renaissance der Solarindustrie. Beispielhaft sei der französische TOTAL-Konzern genannt, der in den kommenden Jahren 500 MW Solarenergie in Form von Agri-Solar aufbauen möchte. Doch nicht nur Ölmultis wie die Royal Dutch Shell wollen wieder stärker in die Solarenergie einsteigen. Der europäische Zusammenschluß „Solar Manufacturing Accelerator“ etlicher europäischer Firmen, Forschungseinrichtungen und Verbände will die Solarbranche aktiv wieder nach Europa zurückholen. Das betrifft alle Bereiche wie Glasherstellung, Zellenfertigung und Modulproduktion sowie die passende Systemintegration in ein Smart-Grid der Zukunft. Dafür werden bis zu sechs Milliarden Euro aufgewendet.

Mit dabei ist das Start-Up Nexwafe, das unter der Leitung des Chefs des Fraunhofer ISE (Solare Energieforschung) Siliziumwafer für die Solarmodulfertig bereitstellen will. Auch das Schweizer Unternehmen Meyer Burger möchte in Ostdeutschland die eigene Verfahrens- und Automatisierungstechnik nutzen, um eine 5 GWh-Produktion aufzuziehen. Neben dem Mainzer Glashersteller Schott bemüht sich auch das Mannheimer Unternehmen Akuo Energy darum, rasch Kapazitäten aufzubauen, um im europäischen Wettbewerb nicht den Anschluß zu verlieren. Auch der Kassler Wechselrichter-Hersteller SMA hat angekündigt, seine Produktion nach Deutschland zurück zu verlagern – auch zum Knowhow-Schutz.

Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Europäische Green Deal nähren den Glauben an eine Rückkehr der Solarindustrie. Doch in einer Welt, in der 85% der Solarmodul-Kapazität von Chinesischen Unternehmen produziert wird, ist das Überleben schwer. Technologischer Vorsprung wird rasch übernommen und staatliche Subventionen schützen selbst unwirtschaftliche Modulpreise.
Dennoch wird die Rückbesinnung auf die Solar- und Windtechnik als ureuropäisches Wirkungsfeld vorangetrieben. Ein Grund dafür ist auch der Wunsch nach größerer energiepolitischer Unabhängigkeit. Ausserdem können innovative Solar-Lösungen ein Exportschlager werden.

Eine dieser innovativen Lösungen ist die Agri-Solaranlage. Dieses Verfahren zur Doppelnutzung der Fläche, die man für die Solaranlage braucht, wird bereits seit Jahrzehnten diskutiert. Doch erst der drastische Verfall der Modulkosten in den letzten Jahren und die Entwicklung neuer Solarzellen mit verbesserter Lichtausbeute und -nutzung beginnen, die klassische Lösung mit bodennah aufgeständerten Solarmodulen zu ergänzen.

Befürworter der Agrivoltaik argumentieren, dass etwa 30% der weltweiten CO2 Emissionen auf die Gewinnung von Nahrungsmittel zurück gehen. Selbst bei einem „sofortigen“ Beenden der Emissionen durch fossile Brennstoffe würde also die Erderwärmung weiter voranschreiten. Die Kopplung von Agrarflächen mit der Gewinnung von Solarstrom könne dazu beitragen, diesen Beitrag zu den CO2 Emissionen zu reduzieren.

Zusätzlich sieht man Vorteile in der Biodiversität, dem Schutz von Boden vor Erosion, ein verbesserter Wasserhaushalt und weniger Landkonflikte, Waldrodungen oder massenhaften Einsatz von Pestiziden.

Die zwei grundlegenden Ideen bei der Agri-PV sind erstens so hoch aufgeständerte klassische Solarmodule, dass ein Traktor darunter entlangfahren kann. Die zweite Variante arbeitet mit sogenannten bifacialen Solarmodulen, die wie die Solarmodule von Next2Sun auf beiden Seiten das Sonnenlicht nutzen können. Zwischen diesen senkrechten Reihen von Solarmodulen könnte dann Landwirtschaft betrieben werden. Insbesondere im sonnenreichen Süden erreicht man so einen Schutz der Pflanzen vor zu intensiver Sonneneinstrahlung und Bodenaustrocknung, während die hoch aufgeständerten Solarmodule einen Schutz vor Hagel und Frost bilden können.

Seit 2019 beschäftigen sich etliche Forschungseinrichtungen und Startups intensiver mit diesem Thema. Der Branchenverband SolarPower hat diese Tendenz erkannt und einen eigenen AGRI-PV Arbeitskreis gebildet. Unternehmen wir SAS Solar Cloth System engagieren sich für einen verstärkten Einsatz dieser Doppelnutzung von Agrarflächen. SAS Solar Cloth kombiniert flexible Solarmodule mit den im Ostanbau bekannten Netzen, um so Strom zu generieren. Als Nebeneffekt verbessert sich der Sonnenschutz und der Wasserhaushalt.
Dabei beeinflussen sich die für die PV nutzbare Fläche und der Flächenertrag gegenseitig. Ziel ist es meistens, mindestens 80% des Feldertrages zu erhalten. Auf der anderen Seite müssen die Installationskosten in vertretbarer Zeit durch die Stromproduktion amortisiert werden, ohne die Verschattung zu hoch zu treiben.

Dass die Entwicklung von Agri-PV Lösungen durchaus Sinn macht, zeigen die weltweit über 2.500 Projekte mit knapp 3 GW installierter Leistung. Was derzeit noch fehlt ist die passende Förderung und der politische Wille zu solchen Anlagen. Dabei gibt es schon erste Konzepte, wie Landwirten ein Anreiz geboten werden könnte, landwirtschaftliche Fläche doppelt zu nutzen. Durch Verpachtung erhält der Grundstücksbesitzer einen Anteil an dem zusätzlichen Strom-Ertrag seiner Fläche.

Noch verhindert das deutsche Energieeinspeisegesetz seit 2010 die Einspeisevergütung von landwirtschaftlich genutzten Flächen. Dieses Fehlen der Förderung gegenüber konventionellen Freiflächen verhindert den zügigen Ausbau. Dabei wäre zur Deckung des gesamten elektrischen Strombedarfs Deutschlands „nur“ etwa 4% der bewirtschafteten Fläche notwendig. Diese Zahl zeigt das Potential der Agri-Photovoltaik, die gleichzeitig die Konkurrenz bei der Flächennutzung reduzieren würde. Zusammen mit schwimmenden Photovoltaikanlagen könnten so beträchtliche Ressourcen genutzt werden.

So lange die Agri-Systeme noch so teuer sind, dass sie nicht ohne Förderung wirtschaftlich betrieben werden können, wird der Ausbau jedoch nur schleppend erfolgen. Heutige Freiflächenanlagen produzieren Strom noch um deutlich mehr als 10% günstiger. Allerdings beweisen Unternehmen wie Wynergy aus Australien, dass es weltweit gesehen Gebiete gibt, in denen dieser wirtschaftliche Nachteil durch die langfristigen Vorteile wie bessere Biodiversität, höherer Ertrag und verringerte Bodenerosion ausgeglichen werden. Eine der Hauptaufgaben ist für die nahe Zukunft, verlässliche wissenschaftliche Ergebnisse zu gewinnen, um Landwirtschaft und Politik von diesen Vorteilen zu überzeugen. Japan fördert bereits seit 2013 die Agri-Photovoltaik, was zu einer deutlich gestiegenen Anlagenzahl geführt hat. Seit April 2020 wird Agrar-Photovoltaik sogar explizit aus einigen Anforderungen für geförderte PV-Projekte herausgenommen und wird dadurch attraktiver. Ein Grund für diese Bevorzugung ist gewiss den vergleichbaren Umständen in Deutschland geschuldet: die verfügbare Landfläche für Solaranlagen ist vergleichsweise gering. Da wundert es nicht, dass bereits erschlossene Ackerflächen in das Visier von Solaranlagen-Bauern rücken.

Agri-PV ist eine der vielen Ideen, wie die decarbonisierte Zukunft aussehen könnte. Vielleicht werden Agri-Solaranlagen sogar ein Exportschlager Made in Germany.

Copyright 12/2020 Gerald Friederici