Wanderurlaub Süd-England 2012

- Anreise über Calais - Dover

- Rye bei Hastings

- Die Seven Sisters (Wanderung)

- Isle of Wight, Needles und Shanking

- Compton Acres in Poole und Tank Museum bei Lulwort
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- Das Durdle Door an der Jurassic Coast
- Lulworth Cove und Ludworth Ranges

- Von Seaton nach Lyme Regis

- Von Salterton nach Sidmouth

 

Eine Küstengeschichte

Seit Tagen schon peitscht Wind über das Land. Die scheinbar endlosen Getreidefelder wiegen sich in den Böen und machen sichtbar, was an sich unsichtbar ist. Auch die Büsche zeigen die vorherrschende Windrichtung an und bilden eine schräg ansteigende Mauer, hinter der kleine Bäume den Windschatten ausnutzen.
Überall ist das Grün nun hoch gewachsen und die meisten Blumen sind erdrückt von der Übermacht der Gräser.
Sturmwolken rasen über die Landschaft, schrammen an den niedrige Hügelkämmen entlang und lassen streifenweise ihre nasse Spur hinter sich zurück.


Seit Tagen schon treibe ich durch das Land. South Coast Path nennt sich der schmale Weg, der mir für eine Woche Leitfaden, Heimat und Vergnügen ist.
Nicht immer führt er unmittelbar an der Küste entlang. Und nicht immer ist sie so spannend wie in Dorset. Mit steilen Klippen, vorgelagerten Felsen und grandioser Aussicht. Oft geht es auch durchs Inland. Sei es, um eine vorgelagerte Landzunge abzukürzen. Oder weil Privatgrund den direkten Weg verhindert.
Man lernt die Public Footpaths schätzen. Denn in England gibt es kein frei zugängliches Land. Alle nutzbaren Flächen sind umgeben von Mauern (oder heute eben eher von Zäunen). Es gibt kein freies Recht auf Überqueren dieser Flächen, sondern es muss explizit erlaubt sein.
So steige ich immer wieder über solche Zäune. Hölzerne Stufen helfen meist dabei oder Schwenkgatter, damit die Schafe oder Kühe nicht hinaus können. Dann geht es für zehn Minuten über eine Wiese, manchmal bis auf die Grasnarbe kahlgefressen. Und manchmal auch durch hüfthohes, nasses Gras.


Es macht mir nicht so viel aus, dass das Wetter nicht mitspielt. Wer nach England geht, muss damit rechnen, dass die Wetterfronten vom Atlantik hier beim ersten Auftreffen auf Land sich austoben.
Dafür treffe ich immer wieder auf freundliche Menschen, die mir den Weg weisen oder auch schon mal mich einladen auf einen Tee zum Aufwärmen. In dieser ländlichen, manchmal schon einsamen Landschaft ist man froh, wenn ein fremder Besucher vorbei kommt, der etwas Neues zu erzählen hat. Und das tue ich gerne, ist es doch die Entlohnung für die Gastfreundschaft, die mir zu Teil wird.
Eingebettet in die weiten Felder ohne Feldwege, verbunden mit schmalen Straßen, die rechts und links oft bis auf zwei Meter Höhe von Mauerwänden eingefasst sind, liegen die Dörfer oft geduckt in Senken. Alles richtet sich hier nach dem nahegelegenen Meer und den Stürmen, die es bringt.
Die steinernen Häuser sind erbaut mit dem, was man an Baumaterial in der Nähe fand. Bei den Seven Sisters ist es der Schwarze Feuerstein aus den Kalksteinwänden an der Küste. Roter Sandstein dann in Dorset. Doch sehr oft sind es graue Steine, die eine gewisse Tristes ausströmen. Doch die Engländer sind wie die Skandinavier bereit, dieser Eintönigkeit mit manchmal schrillen Farben entgegen zu treten. So sind ganze Häuserzeilen unterschiedlich bunt angemalt.


Ich mache Rast unter einer der großen Eichen, die sich gelegentlich gegen den Sturm stellen und als Solitär Schatten spenden - in meinem Fall eben Wind- und Regenschatten.
Mein Blick geht über die graue Meeresfläche. In der Ferne sieht man zwei große Containerschiffe vorbei fahren, sie sehen aus wie riesige Felsbrocken im Wasser. Die Bucht unter mir ist angefüllt mit den Felsen, die immer wieder aus der senkrechten Wand herausbrechen. An vielen hat das Meer schon genagt. Hunderttausende von Wellen haben jahrelang Kies und Sand bewegt, um die kantigen Ecken in rund geschliffene Skulpturen zu verwandeln. So verschwindet das feste Land langsam wieder im Meer, um in Jahrmillionen wieder aufzuerstehen aus den Fluten.
Ich denke darüber nach, wie wohl so ein Stein das empfinden mag, mit der Zeit immer mehr Substanz zu verlieren, bis schließlich die Wellen ihn mitreißen in die Tiefe. Ich schüttle den Kopf und lasse den Gedanken fallen. Es wird Zeit, wieder weiter zu gehen.


In der nächsten größeren Stadt begegne ich jenen dienstbaren Geistern, die man bei uns schon lange nicht mehr kennt. Ausgerüstet mit leuchtenden Warnwesten und einer großen Kelle schützen die Schülerlotsen die Kinder auf ihrem Weg zur Schule. Und bei so viel menschlicher Präsenz hält wirklich jeder Autofahrer rechtzeitig.
Auffällig sind die vielen Reihenhäuser, die ganze Strassenzüge säumen. Was für den Unbedarften erst einmal nach schöner Regelmäßigkeit mit einem Sinn für Harmonie aussieht, ist in Wahrheit Ausdruck der wirtschaftlichen Lage vieler Engländer. Diese Häuser sind schlichtweg günstiger wie individuelle Bauten. Massenware, gelegentlich mit etwas Farbe aufgelockert und doch stereotyp. Auch der Strassenzustand ist oft beklagenswert. Was für mich als Fußgänger kein Problem ist, wird für Autofahrer zur Gefahr. Große Löcher in der Fahrbahndecke, Risse und tausend Mal geflickte Straßen zeugen von dem Mangel an Geld zur Instandhaltung.

Was für ein Gegensatz dazu die gepflegten Golfplätze, die man allenthalben findet. England reklamiert für sich die Erfindungen dieses Sports. In die schönsten Landschaften, oft in unberührter Natur, sind die Greens eingebettet. Mit scharfem Übergang werden Hecken und Wiesen oder Sanddünen abgelöst von bestens gepflegten Rasenflächen und aufwändig gestalteten Landschaftsbestandteilen des Golfplatzes. Während ich an solch einem Golfplatz entlang wandere, schüttle ich in Gedanken den Kopf. Trotz Sturms und Regen gibt es einige unverzagte Spieler, die traditionell angezogen ihren Caddy hinter sich herziehend von einem Loch zum nächsten ziehen. Überhaupt scheint Engländern das Wetter wenig auszumachen. Wo wir uns zu Hause eher in den Häusern verkriechen würden, findet man hier immer wieder Wanderer, Jogger, Radfahrer und vor allem Hundebesitzer, die scheinbar unberührt von den Naturgewalten draussen sind.


Ich übernachte in kleinen Gasthäusern. Wie wenn die Zeit stehen geblieben wäre, gibt es allenthalben diese lnseln der Gemütlichkeit. Fast erwartet man Abends die Ankunft einer Postkutsche mit verschwitzten Pferden davor. Einem laut polternden Kutscher, der die Pferde versorgen lässt im Stall nebenan. Und Fahrgästen, die dick in Mäntel gehüllt eilig aus dem Kutschwagen aussteigen, um sich erst einmal am offenen Kamin in der Gaststube aufzuwärmen.
Dass so mancher Gast heute eher auf seinem Mobile Phone eine SMS schreibt oder die Bilder des vergangenen Tages betrachtet, macht diesem Eindruck keinen Abbruch. Die Häuser sind oft bereits seit Jahrhunderten Heimat für eine Nacht. Haben in der Zeit Tausende von Wanderer und Reisende gesehen und können darüber Geschichten erzählen.


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